Klappentext:
Jedes Jahr im April empfängt Blue die Seelen derer, die bald sterben werden, auf dem verwitterten Kirchhof außerhalb ihrer Stadt. Bisher konnte sie sie nur spüren, nie sehen – bis in diesem Jahr plötzlich der Geist eines Jungen aus dem Dunkel auftaucht. Sein Name lautet Gansey, und dass Blue ihn sieht, bedeutet, dass sie der Grund für seinen nahen Tod sein wird.
Seit Blue sich erinnern kann, lebt sie mit der Weissagung, dass sie ihre wahre Liebe durch einen Kuss töten wird. Ist damit etwa Gansey gemeint?
Meine Meinung:
Mit dem Namen „Maggie Stiefvater“ verbinde ich besonders den Dichter Rilke. Alle die, die ihre Reihe „Nach dem Sommer. Ruht das Licht. In deinen Augen“ gelesen haben, werden wissen, warum. Und trotzdem ich ihren Schreibstil mochte, habe ich schon seit einigen Jahren nichts von der Autorin gelesen. Als mir nun das Buch „Wen der Rabe ruft“ von ihr in die Hände fiel, zögerte ich nicht lange und stieg in die Geschichte ein, ohne besonders viel darüber zu wissen, was mich erwarten würde.
Von der ersten Seite an wird klar, dass es in der Welt, in der Blue gibt, durchaus etwas wie Magie gibt. Nur so ist zu erklären, dass ihre Mutter und ihre Tanten Seherinnen sind und Weissagungen machen. Und nur so ist es zu erklären, dass Blue die Geister derer vorbeiziehen spürt, die dieses Jahr sterben werden. Da Blue selbst keine Seherin, sondern nur eine Art Katalysator für die Mächte ihrer Familie ist, sieht sie die Geister normalerweise selbst nicht – und kann es nicht fassen, als sie einen dann doch wahrnimmt. Mehr als seinen Namen bekommt sie nicht heraus und der ist so ungewöhnlich, dass sie weiß, dass sie ihn immer kennen wird: Gansey. Und noch etwas ist wichtig – nicht nur, dass Gansey binnen eines Jahres sterben wird, sondern auch Blues Gewissheit, dass sie wahrscheinlich etwas mit seinem Tod zu tun hat. Und der Umstand, dass ihr stets vorausgesagt wurde, dass ihre wahre Liebe durch einen Kuss von ihr sterben wird, macht das ganze auch nicht besser.
Ebenjener Gansey ist aktuell noch sehr lebendig und als reicher Sohn einer reichen Familie geht er auf das ansässige Elite-Internat. Er ahnt nichts von seinem Schicksal, von Blue oder von Geistern, doch ganz unbedarft ist er auch nicht, was die magische Welt angeht. Er ist auf der Suche nach Ley-Linien, um von ihnen zu einem alten walisischen König geführt zu werden, der seit Jahrhunderten in einem tiefen Schlaf liegen soll. Gansey hat ein Talent dafür, Dinge zu finden und manchmal findet er dabei sogar Menschen. Nur so ist diese eigentümliche Beziehung zu erklären, die ihn mit seinen Freunden Noah, Ronan und Adam verbindet.
Als Gansey auf Blue trifft wird klar, dass sich die beiden nicht besonders gut leiden können und lieber friedlich coexistieren. Doch es wird auch deutlich, dass Blue eine ausgezeichnete Abenteurerin abgibt. Und so macht sie sich mit den Jungs auf die Suche nach magischen Orten und alten Königen, unwissend, dass noch andere diese Suche unternommen haben.
Blue ist in dem Roman gefühlt noch die Normalste und in Anbetracht der Tatsache, dass sie in einem Haus voller Seherinnen aufgewachsen ist, will das einiges heißen. Sie ringt mit sich und ihrem Wissen hinsichtlich Gansey und der Gewissheit, dass sie ihre wahre Liebe umbringen wird. Doch noch ist das alles etwas, das zu weit entfernt scheint. Genauso wie die magische Welt, von der sie immer nur durch ihre Familie etwas erfährt. Dass sie nun die Chance ergreift, mit den Jungs nach den Ley-Linien zu erforschen, ist da nur nachvollziehbar.
Die vier Raven-Boys sind sehr eigentümlich. Da ist zum einen Gansey, der durch einen unstillbaren Drang angetrieben wird, den König zu finden. Er liebt und lebt Geschichte, fühlt sich seinen Mitmenschen unglaublich verpflichtet gegenüber und vertraut darauf, dass seine Suche von der Magie gewollt ist.
Noah ist der Unscheinbarste von allen – zumindest, bis er mehr in den Fokus rückt und man einiges über seine Vergangenheit erfährt.
Adam kämpft mit familiären Problemen, dem Drang seiner Freiheit und Selbstbestimmtheit. Er ist schüchtern und verbirgt viel von sich, um seine Ziele zu erreichen.
Und Ronan schließlich wirkt wie die Düsternis in Person. Durch den Tod seines Vaters ist seine Familie zerbrochen und nur Gansey ist es zu verdanken, dass er immer noch lebt und zur Schule geht. Nichts scheint für Ronan wirklich Bedeutung zu haben, bis auf verlorene Rabenvögel und der Suche nach dem König. Man kann ihn nicht wirklich durchschauen, was ihn jedoch äußerst interessant macht.
Insgesamt ist „Wen der Rabe ruft“ ein außergewöhnliches Buch und ganz sicher keins, was dem Mainstream gefallen dürfte. Einerseits ist schon klar, wo es hinführen soll und die Suche nach dem König ist der rote Faden. Doch gleichzeitig verliert sich die Geschichte in alltäglichen Dingen, in Ganseys Überlegungen oder in Blues Nachforschungen ihrer eigenen Familie betreffend. Der Stil wirkt etwas von der Welt entrückt und die Protagonist*innen sind nicht immer greifbar. Und genau das finde ich großartig und fantastisch. Das Buch ist mehr eine Art Prolog und daher bin ich neugierig, wohin mich Maggie Stiefvater mit ihrer grenzenlosen Magie im nächsten Band führt.
Lesen, wenn: Ihr ein Buch lesen wollt, das kein typischer Mainstream-Roman ist und in dem Magie die ganze Welt zu beeinflussen scheint.
Nicht lesen, wenn: Ihr ein rasantes und actiongeladenes Buch lesen wollt.